Arne hat heute etwas Neues gelernt: Er weiß jetzt, dass eine Uroma nichts mit einer Uhr zu tun hat, die uns die Zeit anzeigt, das glaubte er nämlich bis heute.

Arne kennt auch schon alle Mitglieder seiner Familie, Freunde und Nachbarn; die Uroma hat er erst heute kennengelernt, denn sie wohnt weit weg in einem Pflegeheim. Die Uroma ist die Mama von Arnes Oma, die auch weit weg in einer anderen Stadt wohnt und dort sind sie heute hingefahren. Es war eine lange Autofahrt und während dieser Zeit hat Arne aus dem Fenster geschaut und sich Gedanken über seine Uroma gemacht.

Er hat sich gefragt, wie sie wohl aussieht und wie es ihr geht, denn er weiß, dass viele alte Leute, sehr alte Leute, manchmal nicht mehr laufen können und im Rollstuhl gefahren werden müssen und dass sie sogar Windeln tragen, weil sie nicht mehr zur Toilette gehen können. Er weiß auch, dass sie deshalb oft in einem Pflegeheim wohnen, wie seine Uroma, und ihnen andere Menschen helfen. Er war gespannt seine Uroma zu treffen und konnte es sich nicht vorstellen, dass erwachsene Leute nicht mehr gehen, essen oder lesen können.

Zuerst holten sie Arnes Oma ab, sie ist die Mama von seinem Papa und freute sich sehr über seinen Besuch. Sie können sich nicht so oft treffen, denn sie wohnt 400 km von Arne entfernt – schade!

Arne, Mama und Papa und seine Oma gingen zusammen zum Pflegeheim, um die Uroma zu besuchen. Das Pflegeheim war ein großes Haus und am Eingang erinnerte es Arne an ein Hotel, denn auch hier gab es eine Rezeption, an der sie sagten, wen sie besuchen wollten. Die Uroma heißt Ruth Müller und wohnt im Zimmer 112. Arne schaute sich alle Schilder neben den Zimmertüren an und fand ganz allein die Nummer 112.

Papa klopfte und machte gleichzeitig langsam und behutsam die Türe auf, denn er wollte die Uroma ja nicht umschubsen, denkt Arne und war mächtig gespannt seine Uroma zu treffen.

Die Uroma, Ruth Müller, saß in einem Rollstuhl neben einem komischen Bett, das ihn an die Betten im Krankenhaus erinnerte und das vorne geschlossen war, ähnlich wie ein Kinderbett.

Arne schaute sich um und entdeckte viele Bilder seiner Familie an der Wand, sogar eine Fotografie auf der er zu sehen war. Langsam ging Arne auf die Frau im Rollstuhl zu, die ihm schon ihre Hand entgegenstreckte. „Das ist Arne!“ hörte er seinen Papa sagen und Arne nahm die knochige Hand seiner Uroma in seine kleine warme Hand. „Hallo!“ sagt er und wird von der fremden alten Frau mit den vielen Falten im Gesicht angelächelt. Sie hielt seine Hand fest und Arne wusste nicht, was er machen sollte, er konnte doch seine Hand nicht einfach wegziehen. Papa hatte alles beobachtet und nahm vorsichtig Arnes Hand und gab der Uroma seine große Männerhand.

Jetzt sprachen sie alle noch einige Zeit mit der Uroma, erzählten von Festen und was es Neues gibt. Aber seine Eltern und die Oma sprachen ganz anders als sonst, sie sprachen mit lauter Stimme und sehr langsam erzählten sie, dass Arne schon in den Kindergarten geht und dass sein Papa eine neue Arbeitsstelle hat. Die Uroma nickte oft und lächelte und als sie alle wieder gingen, weinte sie. Arne wurde auch traurig und reichte seiner Uroma, die schon fast 100 Jahre alt ist, zum Abschied nochmal seine kleine warme Hand, die wieder von Papa „befreit“ werden musste. Beim Hinausgehen sah Arne noch einige andere alte Männer und Frauen in der Eingangshalle sitzen, er winkte ihnen zu und sie lächelten.

Auf dem Weg zu seiner Oma, wo sie übernachteten, war es sehr still im Auto. Arne fragte nach und seine Mama erklärte ihm, dass sie alle ein wenig traurig seien, weil es vielleicht das letzte Mal war, dass sie die Uroma besuchen konnten, denn wenn man fast 100 Jahre alt ist, kann es sein, dass man bald stirbt. Mit dem Sterben kennt sich Arne nicht aus, er weiß nur, dass alle Menschen, wenn sie alt sind, sterben und manche auch, wenn sie sehr krank werden.

Das wurde eine ruhige Autofahrt, aber nachher, als sie bei Oma übernachteten, wurde wieder viel erzählt und gelacht.

Irgendwann mal will Arne seine Mama und seinen Papa fragen, wie das ist, wenn man stirbt.